In der Ferne der Vulkan

DONSOL · PHILIPINNEN

Der zartgelbe Lichtkegel wagt sich stets anderthalb Meter vor uns in die fette Dunkelheit. Getrieben vom schnatternden Zweitakter und drei darauf hockenden, aneinander gepressten Passagieren. Allerlei geflügeltes Getier kreuzt unseren Weg. Verirrt sich in unseren Gesichtern und Haaren.

Kleinere und größere Krater, tiefe Täler und furchige Schluchten, schlammige Seen, knochige Äste mit vertrockneten Blättern zeichnen ihr ganz eigene Landkarte der Straße vor uns. Finstere Nacht, zu schnell der Dämmerung gefolgt, begleitet uns auf unserem Weg nach Hause.

Donsol, in der Bicol-Region auf den Philippinen, liegt bereits ein Dutzend Kilometer hinter uns. Unser Ziel noch zwei vor uns. Die Straße schlängelt sich gemächlich dahin, überrascht nach jeder der unzähligen Kurven und Biegungen mit Blicken und Ausblicken. Kühler Fahrtwind trägt die Mittagshitze mit sich. Widerspenstige Strähnen lösen sich aus meinem Haarknoten, flattern ungezähmt, fröhlich frech, im Wind. Das Leben küsst diesen unbeschwerten Moment zart und süß.

Die zu breite Teerstraße verjüngt sich zunehmend zu einer Spur langer aneinander gereihter Betonplatten. Das Hinterrad ächzt über miserabel gekittete Nahtstellen: Ba-bam, ba-bam, ba-bam. Beton weicht grobem Schotter weicht feinem Kies weicht staubigem Lehmboden. Gleich einem trägen dunklen Fluss liegt nun der Pfad vor uns. Ein Saum dichten Grüns spendet Schattenflecken. Das Motorrad quält sich Stein um Stein den nunmehr schmalen und steilen Pfad hinauf. Nach und nach bleibt das Grün aus langen Farnen, eleganten Palmwedeln und undurchsichtigem Gestrüpp zurück.

In der Ferne erhebt sich ein perfekter Kegel in den blauweißen Himmel. Dunkel und mysteriös thront der Vulkan Mount Mayon dort. Versteckt sich nicht hinter Wolken und Nebelschleiern, nicht heute. Die Ruhe vor dem Sturm. Jederzeit bereit das innere Brodeln zu entfesseln. Unbeschreiblich schön.

Die Sonne schmilzt im satten Grün am Horizont. Letzte goldene Strahlen umschmeicheln sanft lila Wolken. Dutzende nahe und ferne Berge, höhere und niedriger Hügel reihen sich, den Perlen einer Kette gleich, aneinander. Untergehendes Licht streift im Vorbeigehen die Gipfelspitzen. Gräser wiegen sich zaghaft im sanften Wind. Verneigen sich voreinander. Tanzen miteinander. Für einen kurzen Augenblick hält die Zeit ihren Atem an.

Dämmerung legt sich nieder. Der Motor des Motorrads heult hell auf. Im Scheinwerferlicht tanzen Motten. Schnell nehmen wir unsere Plätze ein, ziehen die Füße an, bevor es los geht, hinein ins Schwarz. Über uns ein Meer glitzernder Sterne.

5. Juni 2016